stern.de - 20.3.2005 - 11:25 URL: http://www.stern.de/unterhaltung/buecher/537733.html?nv=cb Harald Schmidt "Zwei Seiten - Feierabend" © Thomas Rabsch Fröhliches Schmidteinander: Am Computer hat Fotograf Thomas Rabsch den vielseitigen TV-Entertainer vielseitig um dessen Konferenztisch postiert. Der Schmidt im Vordergrund hält einen wuchtigen Bildband des US-Fotografen Richard Avedon Manche Bücher haben es schwer bei Harald Schmidt. Zur Leipziger Buchmesse ein Gespräch über Paulo Caelho, Elias Canetti und Schutzumschläge. Herr Schmidt, während Ihrer einjährigen Fernseh-Auszeit waren Sie unter anderem in Neuseeland, Singapur und auf Hawaii. Welche Bücher hatten Sie im Gepäck? Keins. Ich habe festgestellt: Ist die Landschaft toll, braucht man keine Literatur. Das ist was für das regnerische, depressive Europa. Peter Handke bei 30 Grad unter Palmen wirkt vollkommen lächerlich. Aus welchem Motiv lesen Sie - Eskapismus, Selbstentdeckung, Munitionierung? Ganz klar: Munitionierung! Ich existiere nur durch Nachplappern und mache deshalb überhaupt nichts mehr ohne Verwertungsblick. Vor zwei Jahren hätte ich mich noch rausgeredet und gesagt, es ist sehr wichtig, Beruf und Privates zu trennen. Ist es nicht! Ich bin 365 Tage im Jahr ein 24-Stunden-Verwertungsschwamm, der leidet, wenn er nicht ausgepresst wird. Sind Sie noch mußefähig? Absolut. Aber es muss mich schon sehr packen, damit ich ein Buch überhaupt noch zu Ende lese. "Der Schwarm" von Frank Schätzing? Erstes Kapitel - Schluss! "Vienna" von Eva Menasse? 25 Seiten - Feierabend! Das Tolle an Büchern ist auch, dass man so wahnsinnig gnadenlos sein kann. Einen Film guckt man ja eher noch irgendwie zu Ende. "Ein Buch", forderte Kafka, "muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns." Ich glaube nicht, dass ein Buch das schaffen kann. War vielleicht zu Kafkas Zeiten anders. Heute ist man ja von Äxten umringt, ob Fernsehen oder Zeitung. Nehmen Sie die Mutter, die sich mit ihren drei Töchtern zum Erfrieren in den Schnee gelegt hat. Neben den Leichen lagen zwei Bibeln. Ich wüsste nicht, wie das von einem Roman noch zu toppen sein soll. Stärkt Lektüre, oder schwächt sie, indem sie Selbstzweifel schürt? Selbstzweifel habe ich auch ohne Bücher. Lektüre stärkt, denn man findet Sachen perfekt formuliert, die man bislang nur so schofelig-dumpf in sich geahnt hat. Und man braucht sich nicht weiter mit dem Gedanken quälen, es müsste einem selber mal was Neues einfallen. Alles schon da gewesen, alles schon endgültig formuliert. Heiner Müller konnte sich Zitate besser merken als Menschen. Sind Sie auch so? Nicht ganz. Aber Müller ist ja selber ein grandioser Zitatelieferant. Will man richtig böse werden und keinen Ärger kriegen, sollte man immer auf Müller zurückgreifen. Ossi, Kommunist, verfolgt, Krebstod - der ist untouchable. Der Witz ist ja, dass man ahnen muss, wo Zitate zu finden sind. Als Nächstes nehme ich die neue Elias-Canetti-Biografie in Angriff. Die lese ich nur auf Stellen hin. Die Kindheit interessiert mich natürlich überhaupt nicht. Da muss man sich nur den Begriff "sephardischer Jude" merken. Auf der Bühne gesagt, gibt das ein Aufstöhnen im Publikum, weil man es für Antisemitismus hält. Spannend soll sein, wie Canetti über andere Dichter herzieht. Das scheint mir auch unter Verwertungsgesichtspunkten interessant. Meine Erfahrung ist, dass man mit der Bemerkung "schon in "Masse und Macht" sagte Canetti..." jeden Großfeuilletonisten platt macht. Haben Sie Lieblingszitate? Meine Berufsgrundlage ist von Gottfried Benn: "Dumm sein und Arbeit haben - das ist das Glück." Das ist ja wieder unfassbar aktuell geworden. Bei Mietwohnungen greife ich gern auf Heiner Müller zurück: "Fickzellen mit Fernwärme". In "Das abenteuerliche Herz" von Ernst Jünger bin ich kürzlich auf ein Zitat gestoßen, das für mich wirklich desaströs ist: "Ein Gott braucht keine Ironie." Das ist für mich im Grunde die attestierte Berufsunfähigkeit, wenn Sie überlegen, in welchen religiösen Zusammenhängen ich gesehen werde. Anke Engelke nennt mich "Gott". Dr. Dieter Wedel hat mich schon auf "Messias" runtergestuft. Aber der gehört immerhin noch zur Dreifaltigkeit. Sie gestanden mal, noch nie Thomas Mann gelesen zu haben. Wie kann es sein, dass der große Ironiker Schmidt den größten Ironiker deutscher Zunge ignoriert? Ich habe mir dann tatsächlich mal die "Buddenbrooks" vorgenommen - und bin über 20 Seiten nicht hinausgekommen. Es hat mich einfach nicht interessiert. Wahrscheinlich bin ich schon zu sehr auf Häppchen und Schnellverwertung geeicht, um überhaupt noch die Geduld zu haben, mich durch so was Langes durchzuquälen, wo man das Ergebnis ja schon kennt: Nobelpreis! Der eigentliche Spaß ist, Ehrenprofessor zu werden, ohne jemals was zu Ende gelesen zu haben. Wie verändert sich Ihre Lektüre? Weniger Romane, mehr Biografien. Ich suche Rechtfertigungen für eigene Defekte bei Leuten aus der ersten Liga, die gesellschaftlich gebongt sind. Sich morgens schon die Kante geben und 20 Jahre nicht mit den Kindern reden? Hat doch Bismarck auch gemacht! Man selbst glaubt, man wäre so ein kleiner perverser Asozialer, der nicht in der Lage ist, mit seinem Partner zurechtzukommen, und möchte schon irgendwo hingehen, um sich helfen zu lassen - und dann greift man ins Bücherregal, und es stellt sich heraus: Unsere Besten waren ja noch viel schlimmer! Und das schon vor 100 Jahren! Das ist wirklich unglaublich befreiend. Warum gelten Buchhändlerinnen bei vielen als Inbegriff von Unsexyness? Für den Fachmann ist Buchhändlerin besser als Unterschicht mit Arschgeweih. Die Buchhändlerin mit Dutt, Brille und wollenem Faltenrock ist doch der Inbegriff des hässlichen Entleins, das zum Schwan umgebaut werden will. Die wird zum Tier, wenn sie zwischen den Regalen genommen wird. Haben Sie früher Gedichte geschrieben? Mit 17 habe ich Heine abgekupfert. Später schrieb ich Expressionistisches im "Baal"-Stil, um die Angebeteten zu außergewöhnlichen Sexualpraktiken zu aktivieren. Aber sie fühlten sich vom Vokabular angeekelt. Und natürlich wussten diese Dinger auch nicht, wer Baal ist. © Thomas Rabsch Erleuchtung: In guten Büchern findet Schmidt Sätze "perfekt formuliert, die man bislang nur so schofelig-dumpf in sich geahnt hat" Mit welchem Buch erobert man das Herz einer Frau? Da wird es Nacht, da wird es ganz Nacht: Paulo Coelho. Welches Buch von dem, ist wurscht. Ich habe mal "Der Alchimist" geschenkt gekriegt und dachte, vielleicht tue ich dem Mann ja Unrecht. Zwei Seiten - Feierabend! Frauen lesen gerne Bücher, in denen starke Frauen vorkommen. Sehr viele Frauen lesen irische Elends-Romanciers, also: von der Mutter geschlagen, vom Vater geschändet und mit einem Bein in Amerika beim Aussteigen fast ertrunken. Man muss sich da den Satz abschminken: "Ich tue jetzt bestimmt vielen Unrecht..." Was Frauen lesen, treibt einem wirklich die Tränen in die Augen. Bei Jan Philipp Reemtsma habe ich den Satz gelesen: "Es herrscht eine große Sehnsucht nach Unterkomplexität." Als Beispiele bringt er Camping und Actionfilme gucken. Man kann hinzufügen: Frauenliteratur lesen! Was liest Ihre Frau gerade? Ich gucke da weg. Das ist sehr viel so im Ratgeberbereich. Beziehungsratgeber? Das weniger. Mehr so der Grenzbereich zwischen Esoterik, fernöstliche Weisheiten und Yoga. Also im Grunde "Brigitte" auf Romanformat. Wie viele Bücher stehen bei Ihnen zu Hause? Nicht mehr als 300. Ich habe mal alles weggeschmissen, bis nur noch ein Privatkanon blieb. Geordnet wird nach Gigantenhierarchie: Links oben die Untouchables wie Montaigne und nach rechts unten absteigend die Champions League. Ich hatte mal den Wahn, alle Schutzumschläge wegzuschmeißen, weil es natürlich viel literarischer aussieht. Aber wegen der Flecken auf dem Einband ist dann wieder der Kleinbürger in mir durchgerastet. Als ich kiloweise Schutzumschläge in den Altpapiercontainer schmiss, fuhr Elke Heidenreich an mir vorbei. Ich dachte: Was wird die jetzt bloß denken? 1933! Autodafé bei Schmidt! Was ich übrigens unbedingt mal lesen muss, ist "Moby Dick". Das hasst Heidenreich, weil es Macho-Literatur gegen Tiere sei. Ihr Favorit bei Romantiteln? Viele Titel sind ja so auf Verkauf hin ausgerichtet, "Blutrausch im Schwulenkloster" oder so. Wirkliche Romane heißen "Madame Bovary" oder "Anna Karenina". Von Dauer ist ja immer das Schlichte: "Faust", "Derrick". Marcel Reich-Ranicki sagt, er lese aus Respekt vor der Literatur nur im Anzug. Ich bin überzeugt, dass der in voll gekleckerten Pullis in der Küche liest. Wenn man Giganten zu Hause besucht, kriegt man ja Depressionen. Keiner hält das Bild durch, das er von sich aufgebaut hat. Ein perfekter erster Romansatz? "Sabbaths Theater" von Philip Roth: "Schwöre, dass du keine anderen mehr fickst." Der Held hat dann ziemlich schnell Sex auf dem Grab der Geliebten. Führen Sie Tagebuch? Ich habe es irgendwann bleiben lassen, weil ich gemerkt habe, dass ich schon die Notizen auf Wirkung hin schreibe. Was soll ich da auch festhalten? "Andrack ist erkältet. Freue mich über den Erfolg seines Wanderbuches"? Die guten Sätze sind ja schon alle weg. Als die Atombombe auf Hiroshima fiel, schrieb Thomas Mann in sein Tagebuch: "Einkauf von weißen Schuhen." So in der Größenordnung wollen wir uns ja bewegen. Aus welchen Büchern soll bei Ihrer Beerdigung vorgelesen werden? Ich kenne etliche Leute, die ab dem ersten Grimme-Preis damit beschäftigt sind, die Trauerfeier für sich zu planen, damit die auch ja bedeutungsvoll genug ist. Aber auch da war schon alles da. Ich empfehle die Texte, die Martin Heidegger auf seiner Beerdigung vorlesen ließ. Da sind feuilletonistische Atombomben dabei. Vor kurzem unkten Sie: "Ich wittere: Es besteht der Wunsch nach Vernichtung von mir als Fernsehperson." Das erscheint mir heute zu wehleidig. Danach habe ich mich selber eine Zeit lang als Marius Müller-Westernhagen bezeichnet. "Vernichtung" ist viel zu hart. Da verlässt man so dieses: "Aber Kinders, da stehe ich doch drüber!" Stehen Sie denn noch drüber? Nein. Und das hat mich beruhigt, weil ich dann doch nicht so abgebrüht bin, wie ich dachte oder mich gerne präsentieren würde. Ich glaubte halt, mindestens drei Viertel der Bundesrepublik würden mich volksfestartig am Flughafen erwarten. Statt dessen gab es vier sehr böse Artikel, die mich in meiner vollwertigen Gemütlichkeit doch sehr gestört haben. Hat die Südsee Sie verdorben? Horaz' Satz "Wir verändern immer nur den Himmel über uns, nie uns selber" ist wirklich Quatsch. Reisen verändert tatsächlich, und wenn man es so lange macht wie ich, führt es zu einer wirklich enormen Entspannung. Wenn man dann zurück ist, hat man überhaupt keinen Bezug mehr zu dem, was hier passiert. Ich habe die Stimmung in Deutschland völlig falsch eingeschätzt. Ich dachte, die lechzen nach sonnigen Hawaii-Geschichten von mir. Dabei lautete das deutsche Denken: "Dieses blöde Arschloch Schmidt soll bloß nicht glauben, dass wir auf ihn gewartet hätten!" Das ist natürlich auch die einzig richtige Haltung. Haben Sie unterwegs je den Gedanken gewagt, ganz aufzuhören? Natürlich halte ich mich für unersetzbar. Ich bin keiner, der unter Palmen sitzt, sich selber zuprostet und sagt: "Ich bin übrigens der, der den richtigen Zeitpunkt für seinen Abgang erwischt hat." Nach einem Jahr würde die Langeweile mich töten. Der Kult um Harald Schmidt ist vorbei. Erleben Sie das als Kränkung oder Befreiung? Als Herausforderung. Man muss das noch mal angefacht kriegen. Mein Gefühl sagt mir, es kommt ein großer Umbruch in der TV-Landschaft. Mein Hauptmotiv, jeden Tag anzutreten, ist mit Sicherheit nicht die Sendung. Ich will vor Ort sein, um diesen fernsehgeschichtlichen Zeitpunkt zu erwischen. Sven Michaelsen stern-Artikel aus Heft 12/2005